Samstag, 24. Januar 2009
 
Nicaragua: Ortegas letzter Versuch PDF Drucken E-Mail
Geschrieben von Ralf Leonhard   
Dienstag, 31. Oktober 2006

Am nächsten Sonntag, den 5.November finden in Nicaragua Präsidentschaftswahlen statt, bei denen der ehemalige Revolutionsführer Daniel Ortega den Meinungsumfragen zu Folge für eine Überraschung sorgen könnte. Nach einigen Schwenks ist Ortega umstrittener denn je - auch unter den Sandinisten Nicaraguas. Was aber halten die Nicas selbst von ihrem schwarz-roten Caudillo? Und was würde sich im Land tatsächlich ändern, wenn es den von vielen ersehnten Wechsel an der Staatspitze gäbe?

Jorge Mayorga weiss genau, wen er am 5. November wählen wird. Seine rosa Baseball-Kappe verrät es: "FSLN" steht in Schreibschrift auf der Frontseite. Wen sonst sollte er wählen, als Daniel Ortega, der 1985 bis 1990 bereits als Präsident regierte und schon vorher, während der Jahre der jungen Revolution seit 1979, die revolutionäre Regierungsjunta angeführt hatte. "El Frente ("Die Front"), so nennt man die Sandinistische Befreiungsfront (FSLN), sei die einzige Partei, die etwas für die Bauern tue, versichert Jorge. Und seine eigene Biographie lässt kaum eine andere Position zu. Als 14jähriger hatte sich der Bauernsohn aus Chinandega 1979 der sandinistischen Guerilla angeschlossen und mit dazu beigetragen, dass aus dem verlustreichen Kleinkrieg gegen Diktator Anastasio Somoza und dessen brutale Nationalgarde ein Volksaufstand wurde. Präsident Jimmy Carter, der sah, dass die Glaubwürdigkeit seiner Menschenrechtspolitik auf dem Spiel stand, liess den Tyrannen fallen. Für tausende junge Menschen wurde mit dem Beginn der Sandinistischen Revolution ein neues Kapitel der Geschichte aufgeschlagen, das ihnen bis dahin ungeahnte Möglichkeiten der persönlichen Entfaltung erlaubte.

Jorge Mayorga kehrte zunächst an die Schule zurück, diente ein paar Jahre in der Sandinistischen Volksarmee und wurde dann in die Sowjetunion geschickt. Industrielle Fischerei studierte er dort. "Damals wurde auf Industrialisierung gesetzt", erinnert er sich mit einiger Wehmut. Als der junge Mann im März 1990 mit seinem Diplom aus Moskau zurückkehrte, befand sich das Land im Umbruch. Die Sandinisten hatten die auf Druck der internationalen Gemeinschaft vorgezogenen Wahlen überraschend verloren. Die Machtübergabe an eine breite Allianz, die nur vom Hass auf die FSLN zusammengehalten wurde, war in Vorbereitung. An einem Industriefischer mit sowjetischem Zeugnis herrschte kein Bedarf mehr. Die Bemühungen des revolutionären Jahrzehnts, das Land aus der wirtschaftlichen Abhängigkeit der USA zu lösen, den Handel zu diversifizieren und eine eigenstände Industrie aufzubauen hatten nur teilweise Erfolg gezeitigt. Der Krieg gegen eine von den USA finanzierte und trainierte Konterrevolution - die Contras - hatte alle Kräfte gebunden. Hyperinflation, Stromrationierungen und der schleichende Zusammenbruch des Versorgungsstaates prägten den mühsamen Alltag der letzten Jahre. Sollte Ortega wiedergewählt werden, drohte damals US-Präsident George Bush senior, würde der Krieg weitergehen.

Mit der Wahlschlappe verloren viele nicht nur ihre Lebensgrundlage, sondern auch ihre Illusionen. Jorge Mayorga, damals gerade 25 Jahre alt, kehrte auf den elterlichen Bauernhof zurück: "Mir gefällt die Landwirtschaft und sie gibt Dir Unabhängigkeit". Unweit von seinem Heimatdorf tobte bald ein Streit, der symptomatisch war für die Zeit des Umbruchs, in der die Sandinisten ihre Errungenschaften abzusichern versuchten und die neue Regierung so schnell wie möglich die alten Verhältnisse wieder herzustellen bestrebt war. Auf dem Landgut "El Ensayo" war eine Genossenschaft angesiedelt worden: ehemalige Landarbeiter, abgerüstete Soldaten und Contras, Mütter von Gefallenen. "El Ensayo" war an die damals noch staatliche Bank gefallen, weil die Eigentümerin ihre Hypothek nicht bedienen konnte oder wollte. Eigentlich ein klarer Fall. Die Abfindung von Kämpfern beider Seiten mit fruchtbarem Land war zwischen alter und neuer Regierung paktiert. Die Rechtslage schien eindeutig. Der Ausstellung eines Agrarreformtitels schien nichts im Wege zu stehen. Doch plötzlich wurde mit Enrique Mantica einer der grössten Landeigentümer der Region vorstellig und präsentierte einen Titel, der von Anwälten bald als Fälschung erkannt wurde. Da Mantica aber einer der reichsten Familien angehört und mit höchsten Funktionären in Regierung und Polizei verwandt, verschwägert oder befreundet war, konnte sich der Rechtsstreit über Jahre hinziehen. Jorge Mayorga hatte während der sandinistischen Zeit gelernt, dass der Kampf gegen Ungerechtigkeit nicht aussichtlos sein muss. Er schloss sich er Kooperative an und stellte seine Erfahrung zur Verfügung. "Dreimal wurden wir festgenommen", erinnert er sich. Dreimal kam die Polizei und vertrieb die Genossenschafter. Männer im Sold von Enrique Mantica steckten die Häuser in Brand, schütteten die Brunnen zu oder vergifteten sie mit Insektizid. Erst ein Protestmarsch nach Managua, wo die verzweifelten Bauern schliesslich vor dem Parlament ihre Kleider fallen liessen, brachte die nötige Publizität und die Regierung in Zugzwang. Das war im März 2003. Der Anspruch des Staates auf das Grundstück ist inzwischen rechtskräftig. Jetzt fehlt nur noch die formale Übertragung an die Kooperative "Rafaela Herrera".

Jorge Mayorga, grossgewachsen, bullig und mit unverwechselbarem schwarzen Schnauzer, wohnt nicht mehr unter eine Plastikplane in einem windschiefen Verschlag, wie sie die Genossenschafter wegen der ständigen Verrtreibungsgefahr errichtet hatten. Mit seiner Frau Martha und den beiden Söhnen hat er sich ein Holzhaus mit Steinsockel gebaut. Es gibt sogar Strom und der Fernseher läuft ununterbrochen. Bunte Wahlplakate von Daniel Ortega verraten, wo die Bewohner ideologisch stehen. Vor der Tür grasen zwei Milchkühe, die mit einem Kleinkredit einer irischen NGO gekauft werden konnten. Mais, Reis, Bohnen und Kochbananen garantieren die Selbstversorgung. Überschüsse kommen auf den lokalen Markt. Politische Unterstützung, so Jorge Mayorga, habe man in all dieser Zeit nur von den Sandinisten bekommen. Einmal habe man Parteichef Daniel Ortega auf der Strasse gestoppt und in die Kooperative eingeladen. Man klagte über die Richterin, die trotz eindeutiger Rechtslage immer wieder Vertreibungen anordnete. "Daniel hat das abgestellt. Seither haben wir Ruhe", sagt Jorge.

Der Einfluss der Sandinisten auf die Justiz ist unbestritten und effektiv. Er verdankt sich nicht nur der politischen Vergangenheit vieler Richterinnen und Richter, sondern einem Kuhhandel mit dem korrupten Ex-Präsidenten Arnoldo Aleman. Die beiden grossen politischen Kräfte - Liberale und Sandinisten - teilten die wichtigen Institutonen - darunter Wahlrat, Rechnungshof und Höchstgericht - unter ihren Leuten auf. Das Wahlrecht wurde auf die Bedürfnisse von Daniel Ortega zugeschnitten: statt einer absoluten Mehrheit reichen im ersten Wahlgang 40 Prozent. Arnoldo Aleman wurde zwar wegen Unterschlagung von 10 Millionen Dollar während seiner Amtszeit (1997-2002) zu 20 Jahren Haft verurteilt, kann sich aber dank sandinistischer Justiz frei bewegen und vor allem seine Partei zusammenhalten.

Ortega, der drei Wahlen in Folge gegen konservativ-liberale Gegner verloren hat, sieht den bevorstehenden Wahlgang als letzte Möglichkeit, die FSLN wieder an die Macht zu bringen. Und er hat keine Mühe und politische Verrenkung gescheut, um dieses Ziel zu verwirklichen. Die Erfahrung hat gezeigt, dass zerstrittene Gegner immer dann wieder zusammenfanden, wenn es darum ging, Ortegas Rückkehr zu verhindern. Die jeweiligen US-Botschafter spielten dabei eine ebenso zentrale Rolle wie der erzkonservative Kardinal Miguel Obando y Bravo, der vor den Wahlen in seinen Predigten immer klar stellte, auf wessen Seite die Katholische Kirche stehe. Mit Obando, der trotz seiner 81 Jahre die Zügel in der Amtskirche immer noch straff in der Hand hält, gab es vor zwei Jahren eine gross inszenierte Versöhnung. Präsident Enrique Bolaños hatte unbeabsichtigt mitgeholfen. Denn er stellte die Privilegien ab, die die Kirche unter Arnoldo Aleman genossen hatte: Einfluss auf Bildungs- und Gesundheitspolitik sowie Zollfreiheit für Importe, die schwunghaften Handel am Fiskus vorbei ermöglichte. Daniel Ortega führte sogar seine langjährige Ehefrau Rosario Murillo vor den Traualtar, um seine Frömmigkeit unter Beweis zu stellen. Murillo stellte sich zuletzt an die Spitze einer von der Kirche lancierten Kampagne zur Kriminalisierung der therapeutischen Abtreibung. Letzte Woche beschloss die sandinistisch dominierte Nationalversammlung im Schnellverfahren die Abschaffung eines über hundert Jahre alten Gesetzes, das den Schangerschaftsabbruch straffrei stellt, wenn Leben oder Gesundheit der Mutter gefährdet sind oder die Schwangerschaft auf Vergewaltigung zurückzuführen ist. Das ging sogar vielen eingefleischten Sandinisten zu weit. Elmer Zelaya, Mediziner und Koordinator von Entwicklungsprojekten in Leon, tobte: "Opportunistisch und vor allem dumm" sei das gewesen. Parteiintern findet dieser Kniefall vor den reaktionärsten Kirchenkreisen wenig Verständnis. Zelaya hofft, dass der Oberste Gerichtshof die umstrittene Novelle als verfassungswidrig aufhebt.

Von den dunkelrosa Plakaten lächelt Daniel Ortega wie ein gütiger Landesvater. "Frieden, Versöhung und Wohlstand" versprechen die Wahlslogans. Ein Hippie-Wahlkampf, wie die Spötter belustigt feststellen. Bei Ortegas Auftritten wird das Publikum mit "Give Peace a chance" von den Beatles in flower-power-Schunkelstimmung versetzt. Statt Revolution predigt Ortega heute die "spirituelle Revolution". Wer ihn nicht kennt, muss denken, ein Priester stehe auf der Tribüne. Die Versöhnungspolitik reicht bis zu den Contras. Auf einem sandinistischen Ticket kandidiert nicht nur der ehemalige Contra-Comandante Salvador Talavera, sondern auch der Banker und einstige Contra-Sprecher Jaime Morales Carazo. Der focht vor einigen Jahren noch einen unerbittlichen Rechtsstreit um seine Villa in Managua, die seit der Revolution von Daniel Ortega bewohnt wird. Die beiden haben zwar noch keine Hausgemeinschaft gegründet, doch sollte Ortega Präsident werden, wird Morales sein Vize.

An der sandinistischen Basis werden die kühnen Bündnisse nicht in Frage gestellt. Man bewundert die geniale Taktik des Ortega und sorgt sich kaum darüber, dass die grosszügigen Wahlversprechen in Widerspruch zu den politischen Zugeständnissen an die Rechte stehen könnten. Jaime Morales soll das Lager der Liberalen und Wirtschaftsleute spalten, was teilweise gelungen ist. Er hat ein Wirtschaftskabinett vorbereitet, das geeignet ist, die internationalen Finanzinstitutionen und potentielle Investoren zu beruhigen. Die vergangenen Jahre haben viele Illusionen über den freien Markt und die Segnungen der Privatisierung zerstört. Bildung und Gesundheit sind wieder ein Privileg, 800.000 Kinder werden vom Schulsystem nicht mehr erfasst. Wichtige Handelsstrassen sind kaputt. Ständige Stromausfälle erinnern an die Kriegszeit. Damals waren die Abschaltungen allerdings programmiert und nicht überraschend. Ausserdem kostete Energie nur einen Bruchteil von heute. Gründe, die Liberalen abzuwählen, gäbe es also genug.

Ortegas Winkelzüge und sein Umgang mit parteiinternen Kritikern haben aber auch die FSLN nachhaltig gespalten. Viele Intellektuelle, darunter der Schriftsteller Sergio Ramirez und der Befreiungstheologe Ernesto Cardenal, die wichtige Symbolfiguren des Sandinismus waren, sind schon vor über zehn Jahren ausgestiegen. Andere, wie die Guerillakommandantin Monica Baltodano, haben länger um inneren Pluralismus gekämpft und schliesslich doch aufgegeben. Einige wollten den Pakt mir Arnoldo Aleman nicht mittragen, andere versuchten Ortega in Vorwahlen herauszufordern und wurden gedemütigt. Sie scharen sich jetzt alle um Edmundo Jarquin, der einspringen musste, als der populäre Ex-Bürgermeister von Managua, Herty Lewites, Anfang Juli einem Herzversagen erlag. Der Ökonom Jarquin, der die letzten Jahre in Spanien verbracht hat, ist zwar der einzige der fnf Kandidaten, der sein Wahlprogramm mit nachvollziehbaren Zahlen unterfüttert und klar gegen die Kriminalisierung der Abtreibung Stellung bezogen hat, doch steht er ausserhalb der aufgeklärten städtischen Mittelschicht auf verlorenem Posten. Jüngste Umfragen geben ihm nicht mehr als 15 Prozent.

Das Match wird zwischen dem in allen Umfragen führenden Daniel Ortega und einer der liberalen Fraktionen entschieden. Die besseren Karten hat augenscheinlich Eduardo Montealegre, der die Nationale Liberale Allianz (ALN) als Wahlplattform gründete. Hinter ihm steht die US-Botschaft, die derzeitige Regierung und der grössere Teil der Unternehmerschaft. Der Banker soll die Umfragen aber allesamt gekauft haben. Das behauptet zumindest Jose Rizo, der für die traditionelle Liberal-Konstitutionalistische Partei (PLC) antritt. Er gilt als Mann Arnoldo Alemans. Obwohl die Partei mit der Somoza-Zeit und dem korrupten Ex-Präsidenten assoziiert wird, ist sie vor allem auf dem Land tief verankert und könnte am Sonntag die Ãœberraschung liefern.

Selbst auf der Kooperative "El Ensayo" bei Chinandega gibt es einige Bauern, die sich zu den Liberalen bekennen. Aber auch sie müssen zugeben, dass die Liberalen Regierungen nichts für sie getan haben. Kredite gibt es nur für die Grossproduzenten und wenn die Maisernte da ist, importiert das Ministerium billigen Mais aus Costa Rica. "Damit ist der Preis im Keller und wir müssen billig verkaufen", klagt Jorge Mayorga, der dahinter eine klare, gegen Kleinbauern und Genossenschaften gerichtete Strategie sieht. Denn die Grossen bauen Exportprodukte an."Wenn Daniel wieder regiert", da ist er ganz sicher, "dann wird das alles wieder anders".

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